Hauptsache, dem Rad geht's gut.

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Der Spaß nennt sich Alleycat und ist eine Schnitzeljagd per Fahrrad durch die Stadt. Unsere Autorin hat mit ihrem Klapprad gar nicht erst versucht zu gewinnen – und das nicht nur, weil der Hauptgewinn eine Kurbel war

TEXT: JULIANE STREICH

Erschienen in: "DAS MAGAZIN" / SEPTEMBER 2014

Das ist jetzt nicht dein Ernst?« Christian schaut auf das Klapprad, von dem ich gerade absteige. Doch, ist es. »Ich habe kein anderes Rad«, sage ich entschuldigend. Halbherzig entschuldigend. Was, bitte, ist gegen ein Klapprad einzuwenden? Christian zeigt auf all die anderen Räder, die hier reihenweise an der Hauswand lehnen. Schick sehen die aus, schnell und elegant. Sie gehören Menschen, für die Fahrradfahren nicht einfach nur eine billige Alternative zum öffentlichen Nahverkehr ist, sondern eine Passion. Gepflegt zum Beispiel durch die Teilnahme bei einem sogenannten Alleycat. Dabei handelt es sich um eine Schnitzeljagd für Fahrradfahrer, bei der man verschiedene Orte in der Stadt anfahren und dort Aufgaben lösen muss. Viel mehr wissen wir nicht. »Ein Abend voller Überraschungen, mit extraterrestrischen Flamingos und ganz, ganz viel Alkohol«, wurde in der Ankündigung versprochen. Deswegen sind Christian und ich hier.

Mehr als 50 Leute stehen oder sitzen vor dem neuen Fahrradladen im Leipziger Süden, der als Startpunkt bekannt gegeben wurde. Er ist so klein, dass er wohl eher zur Selbsthilfewerkstatt oder zum Kaufen von Accessoires wie zum Beispiel lustigen Mützen taugt. Und zum Bierausschenken. Am Tresen stehen zwei Jungs, die mit Lineal und Kugelschreiber die Anmeldeliste erweitern. Kann man hier auch mit Klapprad mitmachen? »Klar«, antwortet Max. Das sei schon mehrmals vor- gekommen. »Manche schneiden damit gar nicht so schlecht ab.« Denn es geht nicht nur um Schnelligkeit.
Zwar waren Alleycats einst Wettrennen für Fahrradkuriere, um die Frage zu klären, wer der Schnellste ist. Inzwischen geht es aber mehr um den Spaß und die Kreativität. Kuriere aus Toronto waren die Ersten, die sich in ihrer Freizeit gegenseitig herausforderten. Mittlerweile sind Alleycats, zu Deutsch herumstreunende Straßenkatzen, auch nach Europa geschwappt. In vielen deutschen Städten finden die skurrilen Rennen statt. Meistens abends und am Wochenende, wenn die Straßen leer sind. Wo es losgeht, erfährt man nur über Blogs oder über die sozialen Netzwerke. Und natürlich kümmern sich die Organisatoren nicht um irgendwelche offiziellen Genehmigungen seitens der Stadt. So viel Subkultur muss sein.    »

Was wir für Aufgaben bewältigen müssen, wird nicht sofort verraten, sondern steht in dem »Manifest«, das wir erst beim Start erhalten, mit einer eigenen Alleycat-Karte, die man sich zwischen die Speichen klemmen kann. »Heute gibt es drei Manifeste«, erklärt Max allen Anwesenden, die da- raufhin aufstöhnen. Wer alle Stationen abgehakt hat, kommt zum Fahrradladen zurück, holt sich das zweite Manifest, fährt alle Stationen ab, und dann das dritte.

Unsere erste Station (cool kids sagen Checkpoint dazu) führt uns in das Zimmer 741 eines Studentenwohnheims, wo zwei Mädchen und ein Haufen Legosteine auf uns warten. »Ihr müsst entweder ein Ufo, einen Alien oder einen Flamingo basteln«, sagt die eine. »Alien Invasion« ist der Name dieses Alleycat, der Flamingo ziert das Logo der Crew, die das Rennen veranstaltet. Wir basteln einen Flamingo aus vier Legosteinen, der nicht anerkannt wird. Wir streiten ein bisschen rum, aber am Ende liefern wir ein Ufo in Flamingoform ab, mit flamingoähnlichen Aliens drauf. Die anderen Fahrradfahrer sind längst weiter, auch vor uns waren schon sieben andere da. Aber hey, 30 Punkte kriegen wir für Schönheit. Und dieser Ausblick aus dem siebten Stock! So viel Zeit muss sein.

Wir schwingen uns wieder auf die Räder. Nächste Station: Wilhelm-Leuschner-Platz. Die Ortsangabe ist nicht ganz eindeutig. Später werden sich ehrgeizige Teilnehmer beschweren. Drei Menschen sitzen vor einer Statue, vor ihnen stehen Schnapsgläser voller leuchtend grünem Pfeffi und welche mit einer urinfarbenen Flüsigkeit. »Das ist Sauerkrautsaft«, lautet die Erklärung. »Für die, die keinen Pfeffi trinken.« Wir trinken Pfeffi. Vorher müssen wir aber Fragen aus Trivial Pursuit beantworten. Jede falsche Antwort ein Schnaps.
Beschwipst geht’s weiter. Wir hupen zum Abschied. Und verfahren uns. Als Ortskundige sahen wir die Notwendigkeit nicht, die Karte, die uns mitgegeben wurde, wirklich zu studieren. Jetzt stehen wir hinterm Hauptbahnhof vor einer Brücke, deren Anstieg meine Klappradkräfte stark beanspruchen wird. Niemandsland. Schienen und Baustelle. Bei der Abfahrt kurzer Geschwindigkeitsrausch. Fahrradrennen! Yeah! Plötzlich mitten auf dem Fahrradweg irgendwelche Metallteile. Das Leben als Fahrradkurier ist kein ungefährliches. Merk dir das.

Wer mit Licht und mit Helm ausgestattet ist, zahlt bei der Alleycat-Anmeldung einen Euro weniger. Fünf statt sechs. Die meisten haben alles dabei. Bei einem Alleycat in Chicago ist 2008 ein Fahrer gestorben, als er eine rote Ampel ignorierte und mit einem Auto kollidierte. Trotz dieses tragischen Unfalls ist die Verletzungsrate bei den meisten Rennen gering. Am Ziel wird uns ein Fahrer mit blutverschmiertem Bein begegnen. Auf Nachfragen antwortet er: »Das ist Kunst.« In der Tat, der Typ hat sich echt Kunstblut auf den Körper geschmiert. Ein anderer ist wirklich vornüber vom Rad gefallen. »Nicht so schlimm«, sagt er. »Hauptsache, dem Fahrrad geht’s gut.«

Unsere Aufgabe bei Station drei: 25 Liegestütze mit Tasche auf dem Rücken. »Ich kann nicht. Klapprad und so«, überrede ich Christian und drehe mir eine Zigarette. Er schafft es mit Bravour. Andere Fahrradfahrer stöhnen, schnaufen, fluchen. »Aber am Ende hat es jeder geschafft«, erklärt das Mädchen, das unser Manifest abstempelt. Wir bleiben schon wieder am längsten, verquatschen uns immer. Alle, die hier an den Stationen stehen, sind Freunde von Freunden von den Organisatoren. Sie kommen aus Greifswald, organisieren regelmäßig Alleycats, fahren zu Rennen in Europa, schreiben ein Blog. Viele der Teilnehmer kennen sich mit Namen, einige kommen aus anderen Städten angereist, bei der Siegerehrung gibt es eine eigene »Out Of Town«- Kategorie. »So lernt man eine Stadt auch kennen«, sagt Nick, der schon einige Alleycats gewonnen hat. »Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, was Hannover für schöne Ecken hat.«

Wir kennen die schönen Ecken unserer Stadt schon, wissen daher, wo Station vier zu finden ist. Im Park. Aufgabe: Nass machen und ein Foto. Praktisch heißt das, Schuhe ausziehen und in einen stinkenden Tümpel steigen, das eigene Fahrrad hochheben und sich dabei fotografieren lassen. Erstes Manifest abgehakt. Schulterklopfen. Wir kehren zurück und vorher noch mal beim Späti ein, um Bier zu holen. An der Straßenecke treffen wir Max, der darauf wartet, dass die Ersten vom Sprint zurückkommen. Eine Extra- Kategorie. Wir haben ein Drittel des Wettkampfs geschafft. Andere sind schon fertig und machen noch Extra-Sprints. Wir bleiben sitzen und beobachten, wie die Ersten ins Ziel rasen. Sie werden dennoch nicht gewinnen. Zu wenige Punkte bei den kreativen Aufgaben. Etwa 40 Kilometer haben sie zurückgelegt, nicht viel mehr als zwei Stunden dafür gebraucht.

Langsam trudeln immer mehr Fahrradfreaks ein, setzen sich einfach an den Straßenrand. Ein großes Hallo immer wieder. »Meine Beine sind schwer wie Blei. Ich brauche Bier.« Das Ausrechnen vor der Siegerehrung wird noch ein, zwei Stunden dauern. Währenddessen herrscht
Festivalstimmung. Man kommt ins (Fahrrad- fach-)Gespräch, trinkt zusammen, dealt. »Ich habe gerade richtig geile Teile. Brauchste was?« »Ja, was haste denn?« »Sattel, Rahmen, alles.« Auch die Gewinner kriegen natürlich Fahrradzeugs. Gab es am Anfang gelegentlich noch einen Backstein mit »Nr. 1« drauf als Siegerprämie, geben Sponsoren inzwischen gerne etwas dazu. »Wenn der coolste Fahrradfahrer der Stadt zum Beispiel den Sattel einer bestimmten Firma nutzt, ist das für die natürlich beste Werbung«, erklärt Max.

Dass das Fixi längst vom Fortbewegungsmittel der Fahrradkuriere zum Klischeegefährt des Großstadthipsters geworden ist, merkt man auf dem Alleycat kaum. Meist sind die Räder um Längen schicker als der Kleidungsstil ihrer Besitzer. Dann werden die Sieger ausgerufen, und mit Pfeffi wird angestoßen. Gewonnen haben ein Team mit dem Namen «Germany ist Kotzscheiße« und auffällig viele Mädchen- mannschaften. Hauptgewinn: eine Kurbel. Damit wäre das Klapprad eh überfordert gewesen. ■

FOTOS: THOMAS VICTOR, MK REGISTRY
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