Obdachlosenhilfe auf zwei Rädern - Ein Besuch bei "Warmgefahren"

Fahrt euch warm!

Viele Draußenaktivitäten wurden in den vergangenen zweieinhalb Wochen in Berlin buchstäblich auf Eis gelegt. Zahlreiche Fahrräder blieben zu Hause - Kurierräder ausgenommen - und man konnte fast das leise surren der vielen Rollentrainer in der Stadt hören. Da war er nun, der harte Berliner Winter. Spät dran, dafür aber auch sehr knackig. Mit einer Durchschnittstemperatur von -0,9°C und Tiefsttemperaturen von bis zu -15°C in Berlin war dieser Februar der Drittkälteste in den vergangenen dreißig Jahren. Ein Umstand, der für viele Berliner Anlass war sich ausnahmsweise mal auf den Montag dieser Woche zu freuen, der angenehmere Temperaturen versprach.

Ein Projekt auf zwei Rädern

Mein Grund zur Vorfreude auf diesen Montag war ein ganz besonderes Treffen mit Frederyk und Elias. Für die beiden Studenten war die Kälte der vergangenen Tage nur ein Grund mehr sich auf die Räder zu schwingen und stundenlang durch die Stadt zu fahren. Was die beiden antreibt ist eine Idee, die im November 2017 aufkeimte. In den Wintermonaten in Berlin denken sehr viele Menschen an Obdachlose und fragen sich, wie es ihnen wohl bei der Eiseskälte geht und wie man ihnen helfen kann. So auch Elias und Frederyk. Sie wollten eine schnelle und unkomplizierte Hilfe anbieten, die sich direkt an die Bedürfnisse einzelner richtet. Mit der Unterstützung von Velogut konnte das ehrenamtliche Projekt Warmgefahren ins Leben gerufen werden und sorgt seit zwei Wochen für einen ordentlichen Wirbel an medialer Aufmerksamkeit.
In einem Fernsehbeitrag sah ich, dass die beiden mit voll beladenen Lastenrädern durch Berlin fahren und überall anhalten, wo sie jemanden auf der Straße sitzen sehen. Sie reden mit den Leuten, fragen, ob etwas dringend benötigt wird, und haben neben Heißgetränken meistens etwas Passendes im Gepäck. Ihre beharrliche Eigeninitiative begeisterte mich direkt und ich wollte mehr wissen. Es war nicht besonders schwer mit den beiden Kontakt aufzunehmen. Über ihre Facebook-Seite konnte ich sie direkt anschreiben und bekam wenige Minuten später eine Antwort und ein Termin für ein gemeinsames Treffen.

Gleich bei unserer ersten Begegnung an ihrer Wohnungstür spürte ich die aufgeschlossene und herzliche Art von Elias und Frederyk. Beide verbinden gern ihre Ideen mit den Ideen anderer und wollen mit ihrem Projekt eine Schnittstelle in der ehrenamtlichen Arbeit mit Obdachlosen bilden zu der jeder beitragen kann.

Mobilität verbindet

Den Schlüssel des Projektes Warmgefahren bildet die Idee der Beweglichkeit und Flexibilität, um mehr Reichweite und eine engmaschige Vernetzung zu erreichen. Mobilität stellt für die beiden in erster Linie ein verbindendes Element zwischen ihrem Alltag und ihrer ehrenamtlichen Arbeit dar. Doch ihre Mobilität schafft auch eine ganz natürliche Verbindung zwischen ihnen und vielen obdachlosen Menschen Berlins. Das Lastenrad als umweltschonendes Transportmittel bietet die Möglichkeit, kleinere Zeitfenster zwischen Univeranstaltungen oder Arbeitszeiten zu nutzen, um nach Leuten auf der Straße zu sehen und auch diejenigen auf einer Tour zu erreichen, die in kleinen Seiteneingängen oder auf unbefahrbaren Plätzen sitzen. Frederyk und Elias müssen also nicht erst einen Parkplatz finden, sondern können direkt mit ihren Rädern bei den Leuten halten, die dann sehen können was die beiden im Stauraum ihrer Lastenräder haben.

Integration und Erreichbarkeit

Auf diese Weise haben die beiden Bekanntschaft mit vielen Obdachlosen machen können und wissen, was generell und individuell in ihrem Kiez benötigt wird. Durch den regelmäßigen Austausch können individuelle Bedürfnisse und Lebenswege leichter berücksichtigt und unterstützt werden - und das nicht nur an den kalten Tagen! Die Leute auf der Straße freuen sich, wenn Frederyk und Elias mit ihren Lastenrädern bei ihnen halten und sich nach ihnen erkundigen. Weil ihre Touren so gut angenommen werden, haben sich die beiden viel vorgenommen und stecken voller Ideen für die Planung der Sommertouren. Sie laden jeden ein, die Touren mitzufahren und zu lernen, wie man auf effiziente Weise helfen kann.

Netzwerke schaffen

Nicht nur die Jungs sind leicht zu erreichen, sondern auch die Obdachlosen, wenn das Netzwerk wächst. Das Schöne an Warmgefahren ist die Offenheit für alle, die mitmachen und das Projekt mit neuen Ideen mitgestalten wollen. Je mehr Leute helfen, desto eher kann die Reichweite der Versorgung mit dem Nötigsten vergrößert werden. Es kann zielgerichteter agiert werden, sodass sich das Projekt auf andere Bezirke ausweiten kann. 

Wie kann Warmgefahren wachsen und auch kiezübergreifend Obdachlosen helfen?

Elias und Frederyks Wohnraum dient momentan als Lager von Sachspenden, die regelmäßig dort abgegeben werden. Wer mitmachen will, kann auch kleinere Versorgungspakete mit den wichtigsten Hygieneartikeln dort abholen, wenn man beispielsweise jemandem im eigenen Kiez helfen will. Auch jede Information über Obdachlose und ihre Aufenthaltsorte hilft den beiden, sie zu erreichen.

Individuelle Lösungen für individuelle Probleme

Die verbindende Leidenschaft für Fahrräder und Mobilität in der Stadt hat nicht nur uns am Montag zusammengebracht, sondern auch echte Nähe zu den Wohnungslosen unserer Stadt geschaffen, die in ihrer eigenen Mobilität Unterstützung und Motivation durch direktes Engagement von einzelnen benötigen. Ob man ein paar Strümpfe, Zahnputzzeug, Monatshygiene oder eine Isomatte mit sich herumfährt, es findet sich bestimmt jemand, der oder die genau eine dieser Sachen gerade dringend benötigt.
Nach allen Begegnungen auf der Straße sieht Elias die Verhältnisse realistisch: Es würde immer obdachlose Menschen in Städten geben und die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Mehrheit je wieder einen festen Wohnsitz haben wird, der auch gehalten werden kann ist verschwindend gering, sagt er. Also warum nicht Obdachlose bei ihrem individuellen (Über)Lebensweg unterstützen und vielleicht ein Stück begleiten?
Respekt und Verständnis von Individualität als wesentlicher Teil der urbanen Velokultur wird durch dieses wunderbare Projekt beispielhaft ausgelebt. So wie eine Kurierfahrerhand die andere wäscht, und des Fahradliebhabers Wohnraum zur Schlafstätte vieler Radreisender wird, so kann auch die ein oder andere Lastenradbox überlebenswichtiges Gut für Obdachlose beinhalten. Auf das das Fahrrad uns alle immer verbindet und als Symbol der Freiheit uns antreibt zur Eigenverantwortung und Verantwortung für andere!

Zukunft mitgestalten

für die kommenden Monate steht für Elias und Frederyk die Erweiterung des Projektes und die Unterstützung der Obdachlosen in den wärmeren Monaten im Fokus. Es soll auch bald eine mobile Suppenküche geben.
Bei allen bisherigen Unternehmungen bekamen die beiden bislang Unterstützung von Velogut, die ihnen zwei Lastenräder für ihr Projekt zur Verfügung stellten, von der Berliner Obdachlosenhilfe e.V., von BadaBaum – Wie gewachsen , dem Berliner Fahrradmarkt, dem VCD-Projekt "DIY - Dein Mobilitätsprojekt" und nicht zuletzt von Helfern mit eigenen Lastenrädern, die auch Touren fahren.
Um das Netzwerk an Helfern zu vergrößern, werden noch immer Lastenräder als Leihgaben sowie Lastenradfahrer (gerne auch mit eigenen Lastenrädern) dringend benötigt, sodass in vielen verschiedenen Stadtteilen gleichzeitig Fahrer unterwegs sein können. Ihr könnt Elias und Frederyk auf ihren Touren begleiten oder euch Versorgungspakete bei ihnen abholen und selbst an den Mann oder die Frau bringen. Wenn euch jemand auf der Straße auffällt, der Hilfe benötigt könnt ihr die beiden auch anschreiben und den Standort durchgeben, damit die beiden dort vorbeifahren können. Ihr erreicht Elias und Frederyk ganz einfach über ihre Facebookseite oder das Kontaktformular ihrer Webseite unter "Kontakt"

Wir wünschen euch allen einen guten Saisonstart!
Euer FMGX-Team


Text: Palma Kunkel
Bilder: Palma Kunkel